50 Jahre Feuer und Flamme

Sie waren spannend, diese 50 Jahre Biofarm Genossenschaft!

Einige dieser interessanten Geschichten und Zeitdokumentationen möchten wir gerne mit Ihnen teilen.

Auf dieser Seiten finden sie jeden Monat neue Informationen, Geschichten und Anekdoten rund um Biofarm. Steigen Sie ein in eine Zeitreise von 1972 bis 2022.

Gründer haben ihre Gründe

Am 8. Mai 1972 versammeln sich im Hotel-Restaurant Kreuz in Herzogenbuchsee BE neun Männer. Sie legen den Grundstein für die Biofarm. Einer von ihnen ist Werner Scheidegger, erster Präsident und Geschäftsführer. Auf seinem Hof in Madiswil BE werden das erste Büro und dazu das erste Lager der jungen Genossenschaft eingerichtet.

Gründungsmitglied Werner Scheidegger erinnert sich: «In den 50er- und den 60er-Jahren war die Biobauernbewegung sehr gut vernetzt. Hans Müller, Biologe, Sekundarlehrer und Nationalrat, hatte 1926 von seiner Partei, der damaligen Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei, den Auftrag erhalten, die Schulung der jungen Generation zu übernehmen. Mit seiner Frau Maria Müller-Bigler und zusammen mit dem deutschen Arzt Hans Peter Rusch legte er im Schulgarten auf dem Möschberg das Fundament zum heutigen Biolandbau. Dort nahmen jeweils viele Interessierte an Tagungen teil. Hier haben wir späteren Gründer uns kennengelernt. Nach dem Tod von Maria Bigler 1969 entstand eine grosse Lücke. Wir wurden uns bewusst, dass diese Frau die treibende Kraft im Schatten ihres Mannes gewesen war. Weil Hans Müller trotz seines hohen Alters weder seine Nachfolge noch diejenige für seine Frau geregelt hatte, waren wir jungen Bauern uns einig: Wir sind selber gefordert, den biologischen Landbau weiter zu bringen.»

«Endlich wird jemand aktiv!»
Im Biolandbau ist die giftfreie Unkrautbekämpfung seit jeher ein grosses Thema. Einige Jungbauern beschliessen, die Abflammtechnik weiter zu entwickeln und suchen nach möglichen Absatzwegen für Milch und Fleisch. Während Ersteres umsetzbar scheint, stehen Zweiterem gesetzliche Vorschriften im Weg. Von den Vorträgen im Bildungsinstitut Möschberg her ist ihnen der Anwalt Beat Müller bekannt, Sohn des Gründers Hans Müller. An ihn wenden sie sich. Seine Reaktion: «Endlich wird jemand aktiv! Seit Jahren liege ich meinem alten Herrn in den Ohren, dass etwas gehen muss. Seit dem Tod meiner Mutter passiert im Biolandbau nichts mehr.» Beat Müller beruft Werner Scheidegger und dessen Kollegen, Sämi Vogel und Fritz Buser zu sich ins Büro. Er rät zur Gründung einer Firma – die juristische Form der Genossenschaft sei die in der Landwirtschaft übliche Organisationsform. Der Anwalt hilft auch beim Entwerfen der Statuten. «Vermarktung nicht nur von Geräten, sondern auch von Produkten» wird im Zweckartikel der Gründungsstatuten festgehalten.

Der Name sitzt!
Das Kind braucht einen Namen. Etwas mit Bio soll es sein. Der Ausdruck «Bio-Vermarktung» ist den Gründungsmitgliedern zu schwerfällig. In der Runde denken sie laut nach, pröbeln mit Wörtern herum. Aus «Verm..» wird plötzlich «Farm». Bingo! «Bio-Farm-Genossenschaft», das soll es sein!

Gründungsmitglieder

Biofarm-Pioniere: (v.l.) Ruedi Lüscher, Fritz Buser, Hans Grieder, Samuel Vogel, Werner Scheidegger und Beat Müller.

Im Juli 1972 lädt die junge Biofarm zur Vorführung ihres Abflammgerätes ein. Gebaut hat es die Firma Koller in Kerzers FR. Der selbstfahrende Prototyp, angetrieben von einem Motormäher, versammelt in Fräschels FR einige Neugierige. Kurz nach dem Start fängt die Benzinleitung des Antriebsmotors Feuer. Alle rennen in Deckung und schauen in sicherer Entfernung zu wie die Träume der Biofarm Pioniere in Flammen aufgehen…

Augenzeuge Werner Scheidegger berichtet: «Unser Optimismus war aber nicht dem Feuer zum Opfer gefallen. Wir experimentierten weiter, verlegten uns auf eine traktorgezogene Version». Die Vorführungen dieser zweiten Maschine, ein Jahr später, locken viele Interessierte an. Drei Tage nach der Demonstration sieht es zwar ganz so aus, als sei mit dem Unkraut auch noch das Getreide vernichtet. Doch es erholt sich, und drei Wochen später ist kaum noch ein Unterschied zum unbehandelten Teil zu sehen – ausser, dass effektiv weniger Unkraut nachwächst.

Weiter getüftelt
Im Frühling 1973 werden mit knapper Not die ersten Abflammgeräte fristgerecht geliefert. Kaum ist die erste Maschine eine halbe Stunde im Einsatz, läutet beim Biofarm-Präsidenten das Telefon Sturm. Die Gasschläuche sind undicht. Was jetzt? Die Herstellerfirma wimmelt ab: «Das kann nicht sein, das sind die besten Schläuche auf dem Markt!» Der Biofarm hilft das wenig. «Wir sind dann selber darauf gekommen, dass die Schläuche zu nah an die Brenner herangeführt waren. Durch die aufsteigende Hitze wurde der Kunststoff weich und löste sich aus den Briden», erzählt Werner Scheidegger. Sondereinsatz und Verbindungsstücke aus Metall bringen eine behelfsmässige Lösung. Die Geräte dieser ersten Serie müssen nachgerüstet werden. Das kostet die junge Genossenschaft mehr als die Verkaufsmarge und ziemlich viel Nerven.

In Rauch aufgelöst
Auf der Suche nach dem Bau einer weiteren Serie führt der Zufall die Biofarm-Pioniere mit dem Gasspezialisten Rudolf Haueter zusammen. Eine langjährige Zusammenarbeit beginnt, führt aber nie zum Geschäft. Modell 74, die zweite Serie Abflammgeräte, ist technisch besser ausgereift, die Frage der Gasdosierung bestens gelöst, die Handhabung markant verbessert. Dennoch sind die Geräte kaum verkäuflich: zu teuer für die Landwirtschaftsbetriebe, und der überbetriebliche Einsatz führt rasch zu einer Sättigung des Marktes. Jahrelang belasten die unverkauften Geräte die Bilanz. Nur dank des grosszügigen Darlehens eines Gründungsmitglieds entgeht die Biofarm im dritten Geschäftsjahr der Pleite. Eine unerwartete Renaissance erleben die Abflammgeräte 1988, als so manche Gemeindeverwaltung, durch Atrazinrückstände im Trinkwasser aufgeschreckt, nach Alternativen für öffentliche Areale sucht. Und auch das Interesse der Zürcher Friedhöfe an den fahrbaren Geräten vermag nicht über die Tatsache hinwegzutäuschen: Längerfristig wird die Genossenschaft nicht in der Lage sein, Weiterentwicklung und Service zu gewährleisten. Ein vielversprechendes Gründungsmotiv löst sich in Rauch auf.

Gründungsmitglieder

Abflammgerät

Bei der Gründung der Biofarm stehen zwar die Entwicklung der Abflammgeräte sowie die Fleisch- und Milchvermarktung im Vordergrund, aber zum zweiten brennenden Thema wird die Schweinemast. Auf der Suche nach Fleischabsatz treffen die Pioniere auf einen Metzger, der für seine Biosalami-Produktion Interesse an nicht weniger als 2000 Schweinen pro Jahr zeigt. Doch woher alle diese Bioschweine und die Riesenmengen an Biogerste beschaffen, die so viele Tiere verschlingen? Ein Vorstandsmitglied reist zur Abklärung nach Frankreich. Futtermischungen werden zusammengestellt. Man schickt an alle bekannten Betriebe einen Fragebogen punkto Schweineproduktion. Wenige Monate später verläuft das Biosalami-Projekt im Sand. Es fehlt an Verdienstmöglichkeiten und… an genügend Schweinen.

 

Glück aus dem Elsass
An einem Landbaukurs auf dem Ausbildungszentrum Möschberg lernt Biofarm-Präsident Werner Scheidegger einen Maschinenbauer aus dem Elsass kennen. Dieser bietet ihm die Schweizer Vertretung für die Elsässer Getreidemühle an. «Im Vorstand haben wir lange beraten und abgewogen», so Werner Scheidegger. «Schliesslich überwog die Meinung, dass Leute, die selber Körner mahlen und Brot backen, ja schon recht nahe am biologischen Gedankengut seien.» Die Biofarmer versprechen sich mit dem Verkauf eines Dutzend solcher Mühlen zudem einen Beitrag an die durch die missglückte Abflammerei entstandenen Unkosten. Die Reaktionen auf ihr erstes Inserat übertreffen alle Erwartungen: In kürzester Zeit sind die ersten zehn Mühlen verkauft; 100 Stück werden es im ersten Jahr. Vorführraum ist die Wohnstube von Familie Scheidegger in Madiswil. Viele Jahre noch bleiben die Elsässer Getreidemühlen eines der wesentlichen Standbeine. Und: Sie sind der eigentliche Auslöser für das bis heute wichtige Getreidegeschäft. In aller Eile müssen die Pioniere im Frühjahr 1974 einige hundert Kilo Bioweizen organisieren. Die meisten Bauern haben dazumal ihr Getreide schon abgeliefert. Biolandwirt Ernst Frischknecht in Tann ZH kann einspringen und wird der ersten Biofarm-Produktelieferant.

Gründungsmitglieder

Hinter all ihren Bemühungen um Sortimentserweiterung mit Bioprodukten aus dem Inland stellt sich für die junge Biofarm bald eine Grundsatzfrage: Soll sie als schweizerische Bauerngenossenschaft überhaupt Importprodukte in ihr Sortiment aufnehmen? Bei Produkten, die aus klimatischen Gründen nicht im Inland gedeihen können, fällt die Antwort leichter. Doch konkurrenziert sie mit allem anderen nicht die eigenen Mitglieder? Die Pioniere gelangen schliesslich zur Überzeugung, dass sich inländische Körner mit einer für den Detailhandel interessanten Sortimentsbreite besser verkaufen lassen, denn für die Ladener lohnt eine Bestellung erst, wenn sie möglichst viele Artikel beim gleichen Lieferanten beziehen können. Biofarm-Präsident Werner Scheidegger: «Wir haben uns immer die Einschränkung auferlegt, zuerst die inländischen Produzenten zu berücksichtigen und erst zu importieren, wenn ihr Angebot nicht ausreicht.» 

 

Leader-Produkt im Gartenhäcksler
Dass ausgerechnet brasilianischer Vollrohrzucker das Leader-Importprodukt werden würde, hätte niemand gedacht, als sich eines Tages ein unbekannter Schweizer Auswanderer bei der Biofarm meldet. Emilio Lutz bewirtschaftet mit seiner Frau die Fazenda Jacutinga. Er hat auf Bio umgestellt und ist auf der Suche nach Abnehmern in Europa. Er möchte aus Zuckerrohr – nicht wie die meisten anderen Treibstoff –, sondern wertvollen Vollrohrzucker herstellen. Für die Genossenschaft stellt sich die Frage, ob die Aufnahme eines solchen Nischenproduktes gerechtfertigt und sinnvoll ist. Die Absatzchancen schätzt der damalige Präsident Werner Scheidegger als gering ein. Hinzu kommen restriktive Vorschriften für den Import, insbesondere die Pflichtlagerhaltung. Nach einigem Hin und Her entschliesst man sich dennoch zu einem Versuch. Der erste Container mit 16 Tonnen trifft ein. Aber oha: Vollrohrzucker nimmt Luftfeuchtigkeit auf und klumpt. Entsprechende Beutel sind anzufertigen. Normalerweise werden solche Produkte in klimatisierten Räumen gelagert und verarbeitet, doch davon kann man in Kleindietwil nur träumen. Weil schon die Originalsäcke aus Brasilien die Feuchtigkeit ungenügend zurückhalten, ist oft der ganze Sackinhalt (25 kg) ein einziger Klumpen, den es vor der Abfüllung in Kleinpackungen zu zerstampfen gilt. Es lässt sich eine Lösung finden: Der Sackinhalt kommt durch den Gartenhäcksler. Später wird das Produkt in Plastiksäcken angeliefert, und diese Improvisation erübrigt sich. Durch ihren Mut zu Neuem trägt die Biofarm einmal mehr dazu bei, Bio-Suisse-Richtlinien zu entwickeln – diesmal für den Anbau von Zuckerrohr.

 

Gründungsmitglieder

Um 1975 geraten die Pioniere ungewollt auf Kollisionskurs mit der Anbau- und Verwertungsgenossenschaft Galmiz (heute Terraviva). Durch die Ölkrise ist der Kurs des Schweizerfrankens deutlich gestiegen, was die schweizerischen Exportprodukte verteuert. Betroffen davon ist auch die Biotta in Tägerwilen TG. Bei ihr kommt es zu einem «Saftstau», weshalb ihre Lieferanten den Anbau von Rüebli und Randen vorübergehend einschränken müssen. Obwohl die Pioniere nicht ins Gemüsegeschäft einsteigen wollen, kommt die Idee auf, Reformhäusern Aktionen mit Biorüebli vorzuschlagen. Der damalige Präsident des Verbandes Schweizer Reformhäuser biona lehnt ihre Anfrage ab mit der Begründung, ein Reformhaus sei nicht auf Frischprodukte ausgerichtet. Er weist jedoch darauf hin, dass der Verband landwirtschaftlicher Genossenschaften von Bern den Gemüsesaft Eden in Lizenz für den Schweizer Markt herstelle. Das Geschäft kommt zustande. 30 bis 50 Tonnen Rüebli und Randen pro Jahr kann die Biofarm während einiger Jahre liefern.

 

Biona, Pionier, Morga und eine eigene Linie
Das Geschäft mit Saftgemüse wird kein tragender Betriebszweig, doch führt es die Pioniere auf eine wegweisende Fährte: Bioprodukte, also auch Getreidekörner, in Kleinpackungen zu lancieren – eine grosse Neuheit für die damalige Biokundschaft. So beginnt eine langjährige Zusammenarbeit mit dem biona­ Verband. Den Anfang machen Weizen- und Roggenkörner unter der Marke biona. Die Feinverteilung an die Reformhäuser übernimmt die Firma Pionier in Wädenswil ZH, die später an die Morga AG in Ebnat-Kappel SG übergeht. Eine eigene Verteilung aufzubauen oder die Reformhäuser mit Bahn oder Post zu beliefern, würde die Ware zu sehr verteuern. Bald erweitern Gerste und Hafer das Sortiment. Die Frage beschäftigt: Wer kann Kleinmengen in guter Qualität und zu vernünftigen Preisen schälen und reinigen? Präsident Werner Scheidegger macht seine Erfahrungen: «In der Hafermühle Lützelflüh wurde ich vom Obermüller ausgelacht: ‘Bis ich die Maschine richtig eingestellt habe, ist schon die ganze Charge darin verschwunden’». Die Steigmühle Töss in Winterthur ist bereit, Kleinaufträge zu übernehmen. Mit den wachsenden Mengen sagt schliesslich die Hafermühle Lützelflüh zu. Das biona-Sortiment wird in den Folgejahren laufend ausgebaut. Grahammehl kommt hinzu, Ruchmehl und Weissmehl, später folgen Hirse, Buchweizen, Leinsamen und anderes mehr. Die gute Zusammenarbeit mit dem biona-Verband und die eigene Abfüllanlage für Kleinpackungen motivieren, auf eine eigene Linie unter der Marke Biofarm zu setzen.

 

1975 führt die Biofarm neben der Verpackung des biona-Verbandes erstmals ihre eigenen Kleinverpackungen ein.

Über ihre ersten Mühlenkunden erfahren die Pioniere von den erfolgreichen Kursen eines gewissen Dr. Johann Georg Schnitzer im Schwarzwald. Zu diesen reisen auch aus der Schweiz Interessierte an, um die Kunst selbstgebackenen Vollkornbrotes zu erlernen. Das bringt die Biofarmer auf eine geniale Idee.

Beseelt vom Gedanken, was die Bauernfamilien auf dem Feld pflegen, soll auch auf dem Teller seinen Wert bewahren, entsteht mit dem Neuenburger Bäckermeister Edi Wohlgemuth und der Hauswirtschaftslehrerin Elisabeth Zurflüh das Biofarm-Kursprogramm „Kochen und backen mit Vollkorn". 1974 sind die ersten vier Kurse mit je 24 Personen innert einer Woche ausgebucht. Eine Warteliste für weitere Kurse füllt sich im Nu. Zwei Jahre später kann am neu gemieteten Standort, dem ehemaligen Sekundarschulhaus von Kleindietwil BE, eine eigene Kursküche eingerichtet werden. Einige tausend Frauen und Männer aus der ganzen Schweiz und vereinzelt aus dem benachbarten Ausland besuchen den Unterricht des Duos Zurflüh-Wohlgemut. Sie alle haben gleichzeitig die Gelegenheit, direkt ab Quelle Biofarm-Körner zu beziehen, und die Biofarm schafft sich ein gewieftes Instrument der Kundenbindung.

 

Weiterbildung und Weiterentwicklung
Die ausserordentlichen Generalversammlungen der ersten Jahre sind jeweils fast ausschliesslich der Weiterbildung gewidmet. An ihren ordentlichen Generalversammlungen laden die Pioniere prominente Referenten für Themen des Biolandbaus ein. 1976 startet die Biofarm mit dem Forschungsinstitut für Biologischen Landbau (FiBL) einen mehrtägigen Landbaukurs. Hier wird anhand von Praxisbeispielen das Wissen direkt auf Höfen weitergegeben. Das Interesse ist gross. Einige Jahre später, als der Kanton Bern eine Kommission für umweltschonende Betriebsformen in der Landwirtschaft einsetzt, dienen diese Kurse als Vorlage für kantonale Landwirtschaftsschulen.

Bis heute bleibt Vermitteln, Beraten, Entwickeln, Voranbringen für die Biofarm grundlegend. An Flurbegehungen stellen ihre Fachleute den Anbau neuer Kulturpflanzen vor, fördern den Erfahrungsaustausch unter Landwirtinnen und Landwirten, präsentieren Anbauempfehlungen und bringen sich in den Gremien des Dachverbandes Bio Suisse ein. An Landwirtschaftsschulen referieren sie über Spezialkulturen. Sie sind Botschafter der Genossenschaft. So machen sie ihren pionierhaften und aufwändigen Einsatz für längst vergessene oder neue Kulturen einem breiten Publikum zugänglich und tragen zur Förderung der Vielfalt auf den Bauernhöfen bei.

Hans-Georg Kessler und Hansueli Brassel erzählen über die Flurbegehungen der Biofarm.

Zu den Beratungsanlässen

Im Jahr 1987 sollen die Biofarm-Koch- und -Backkurse um «natürliche Konservierungsmethoden» bereichert werden. Man denkt darüber nach, weniger Zucker einzusetzen, denn auch gesunde Früchte verlieren im üblichen Eins-zu-Eins-Zuckerverhältnis an Wert. Alternativen? Konzentrieren durch Einkochen beeinträchtigt den Geschmack und ist zudem energieaufwändig. Was sonst? Die Lösung steckt im Apfelpektin. Gewonnen aus Apfeltrester, hat dieses die Eigenschaft, Fruchtmassen und Fruchtsäfte zum Gelieren zu bringen. Auf Anfrage kreiert die Firma Obipektin in Bischofszell ein haushalttaugliches Mittel. Biofarm-Kochkursleiterin Elisabeth Zurflüh pröbelt hin und her, bis das Ergebnis befriedigt. Die ersten Kursteilnehmerinnen können das Produkt mit dem bescheidenen Namen Unigel (universelles Geliermittel) kaufen. Das Geliermittel mausert sich zum Verkaufsschlager, und kein anderes Produkt bringt der Biofarm während fast 20 Jahren eine annähernd hohe Verkaufsmarge.

 

«Fruchtaufstrich» muss es heissen
2005 fällt der Entschluss, mit Obipektin ein biologisches Unigel zu entwickeln. Nach vielen Kochversuchen scheint das Ziel mit einer anderen Rezeptur erreicht, denn nach Biovorschrift ist Pektin nur in nicht-amidierter Form erlaubt. Bio-Unigel wird dadurch anspruchsvoller in der Anwendung: Die Dosierung hängt von der Art der Früchte und der Menge Zucker ab, wobei der Zucker erst am Schluss und nur ganz langsam beigefügt werden darf. Im Sommer 2006 bringt eine Flut an Reklamationen die Mitarbeitenden in Kleindietwil ins Schwitzen: zu feste Konfitüren da, zu flüssige dort. Nach neuen Versuchen und überarbeiteter Gebrauchsanweisung gelingt auch der Biovariante der Durchbruch. Darf zu Beginn eine Konfitüre trotz 30 Gramm konventionellen Unigels noch mit der Knospe ausgelobt werden, ändert sich das nach einer ersten Verschärfung der Biovorschriften. Einige Jahre später darf nicht mehr als «Konfitüre» bezeichnet werden, was weniger als 50% Zucker enthält. Eine weitere Änderung der EU-Bioverordnung schliesst Pektin aus den sogenannten «Verarbeitungshilfsstoffen» aus und ordnet das Geliermittel der Gruppe landwirtschaftlicher Produkte zu. Infolgedessen müsste Bio-Unigel zu 85% biologischen Ursprungs sein. Ein Ding der Unmöglichkeit, da ein Teil nicht in Bioqualität verfügbar ist. Immerhin, mit Bio-Unigel gekocht, ist der «Gonfi» die offizielle Bezeichnung «Bio-Knospe-Fruchtaufstrich» erlaubt.

Rein in die Gläser – mit einem Geliermittel, das zur Biofarm gehört wie die Frucht zur Konfitüre.

Schon die Pioniere zeigen ein sicheres Gespür für den passenden Namen, den authentischen Auftritt. Kurz nach der Gründung schreibt Präsident Werner Scheidegger auf offiziellem Briefpapier. 1974 entsteht das erste Logo mit drei Ähren. Mit dem steigenden Absatz von Kleinpackungen wird 1992 die eigene Produktelinie unter der Marke Biofarm überarbeitet. Für heutige Verhältnisse aussergewöhnlich: 15 Jahre lang bewährt sich diese Wahl! Als 1995 die Fertigprodukte mit Volldampf loslegen, wird der Aussendient auf drei Personen aufgestockt. All die positiven Aspekte des Biolandbaus, die Verbundenheit der Genossenschaft mit ihren Bauernfamilien, soll er mit eigenständigem, starkem Auftritt in die grösstenteils städtischen Läden hinaustragen. Als «Geburtstagsgeschenk» zum 30-Jahr-Jubläum gedacht, unterstreicht die Biofarm ihre Kommunikation ab 2002 mit der Gratiszeitschrift «bio.logisch». Der erfolgreiche Mix zwischen spannenden Geschichten von Menschen, Biohöfen, neuen Produkten und Inseraten erreicht eine Auflagenhöhe bis zu 35'000 Exemplaren.

«Fresspäckli» für Simone
Auf der Titelseite des Biofarm-Konsumentenmagazins, des ersten der Schweizer Bioszene, blickt auch die Biologin und fünffache OL-Weltmeisterin Simone Niggli Luder dem Leserpublikum entgegen. Sie geht als Sympathieträgerin für die Genossenschaft ins Rennen. «Je berühmter sie wurde, desto kleiner wurde unsere Werbefläche auf ihrem T-Shirt, bis es zuletzt fast ganz unter dem Arm verschwand», erinnert ein ehemaliger Biofarmer. Für sie pflanzt die Biofarm einen Apfelbaum, schickt ihr «Fresspäckli» ins mehrmonatige Training nach Schweden, gründet einen Sympathisantenclub mit Sonderangeboten. Mehrmals jährlich wird auch ein Biofarm-OL-Cup durchgeführt mit einem kleinen Wohnwagen voller Produktangebote und «Gratismüsterli». 2009 bringt ein grosser Relaunch mit frischem Branding Pepp und Schwung in den Auftritt. Die mit grossem Aufwand verbundene Zeitschrift wird nach acht Jahren abgelöst vom Magazin «Oliv», herausgegeben von Bio Plus AG in Seon. Hier platziert die Biofarm Betriebsporträts, Interviews und Fachthemen. Die Kommunikation setzt nun verstärkt auf die Onlinemedien mit Website, Newsletter, Social Media und Webshop. Nach mehrjähriger Teilnahme an diversen Messen und Grossanlässen konzentriert sie sich auf den Bio Marché in Zofingen und die Biopartner-Hausmesse in Seon AG. Zwölf Jahre nach dem ersten grossen trägt ein sanfter Relaunch fürs Jubiläumsjahr der Vergangenheit Rechnung. Der neue Claim dazu: «ehrlich.sinnvoll.seit 1972».

Kaum etwas bildet den Zeitgeist so gut ab wie das Sortiment mit Produkten, die kommen, bleiben, gehen. Markt, Wirtschaft, Kundenbedürfnisse und Trends spiegeln sich darin auch für die Biofarm über die Jahrzehnte. 1980 erreicht das Getreide einen Umsatz von CHF 420‘000. Allein mit ihren Haushaltsgetreidemühlen erzielt die Genossenschaft an die CHF 200‘000. Neben erfolgreichen Einzelprodukten, wie Vollkornstängeli oder Unigel, schlagen Trockenfrüchte und Süssmost eher bescheiden zu Buche. CHF 90‘000 bringen Gemüse und Obst. Ganze CHF 400‘000 verbuchen Abflammgeräte, Hackstriegel, Gartöpfe, Deckel, Belastungssteine, Kabishobel. Noch so manche Bauernfamilie macht ihr eigenes Sauerkraut, und für sie hat die Biofarm, was es dazu braucht. Von Algenkalk über Knochenmehl und Hornspänen bis zu Hühnermist bietet sie alles, was auf dem Feld und im Garten hilfreich ist – so etwa Ackerschachtelhalm und Brennesselpulver, Schlafsäcke für Blattlausfeinde wie die Ohrwürmer oder Saatgut Phacelia, Senf, Kleearten und Ölrettich zum Gründüngen. Sogar 8’000 Zahnbürsten und auch Honigbecher aus Rilsan, einem kunststoffähnlichen Material aus Rizinusöl, tauchen 1984 in der Inventarliste auf. Über 50 verschiedene Bücher, Broschüren, Ratgeber über Land- und Gartenbau, Ernährung, Backen und Kochen decken das Thema «biologisch» weitläufig ab. 1985 kommen auch 15 Titel in französischer Sprache hinzu. 

 

Verkaufsschlager und überraschende Flops
1991 kommen erstmals Teigwaren und Reiswaffeln sowie Ölsaaten und Hülsenfrüchte ins Sortiment. 1994 bringt mit Birnel und dem Exklusivgeschäft mit Bertschi-Kaffee zwei weitere Neuheiten. Im selben Jahr tritt Coop als erster Grossverteiler in den Biomarkt. Die Preisdifferenz zwischen Coop und Reformhaus hat zwar nachvollziehbare Gründe, wirkt sich jedoch aufs Kaufverhalten preissensibler Menschen aus. Umso mehr, als auch die Kundschaft im Biofachhandel die Konjunkturflaute der 90er Jahre zu spüren bekommt. Für die Genossenschaft gestaltet sich diese Zeit schwierig: Sie hat mit dem soeben fertiggestellten Neubau viel Platz, aber wenig Umsatzzunahmen und mit gleichzeitigem Margendruck hohe Finanzierungskosten zu bewältigen. Die drohenden Verluste hält sie mit Rationalisierungsmassnahmen und Sortimentserweiterung im Rahmen. 1986 startet sie mit dem Verkauf von Fleisch-Mischpaketen. Später betreibt sie gar eine Fleischtheke mit ausgebildetem Metzger im Bioladen Höhener in Basel. Im Spitzenjahr 1994 bringt ihr das Fleischgeschäft CHF 1.17 Mio. Umsatz plus CHF 520‘000 Fr im Viehhandel. Doch ein anderes Unternehmen übernimmt die Belieferung von Vatter. Der Umsatz verlagert sich zum Viehhandel, fällt dann 2001 ganz aus dem Sortiment. Ab der Jahrtausendwende ändert sich die Sortimentsstruktur nicht mehr so grundlegend wie zuvor, auch wenn regelmässig Neuheiten, wie Senf oder Schweizer Weine, hinzukommen. Manchmal trifft der Pfeil ins Schwarze, und ohne grosse Werbung wird ein Produkt zum Selbstläufer. Ein andermal helfen auch die Werbetrommeln nichts. 15 Antipasti-Produkte in feinstem Olivenöl, 2008 lanciert, sind nach zwei Jahren ein Flop. Ähnlich ergeht es der edlen Sirup-Linie bester Schweizer Qualität. Dafür erweisen sich ab 2010 die Florentiner mit Sauerkirschen als Senkrechtstarter. Positiv reagiert der Markt ebenso auf Schweizer Ölsaaten und Öl. Ob Leinsamen, Kürbiskerne, Rapskörner, Sonnenblumenkerne oder die Mischung daraus: Neue Essgewohnheiten spielen der Biofarm in die Hände: Diese Produkte sind gesund, aus hiesigem Anbau und voll im Trend. 

 

Mit mehreren Dutzend verschiedener Broschüren und Ratgeber deckt der Biofarm-Verlag in den 80er Jahren das Thema "biologisch" ab.

Während Steinobst und Beeren quasi seit den Anfängen dazugehören, ist das Geschäft mit Kernobst erst nach 25 Jahren reif. Ende der neunziger Jahre leitet das Obstcenter eine neue Etappe ein.  Eisige Kälte vernichtet im Frühling 1997 die Blüten vieler Obstbäume. Die gerade mal 50 Tonnen Äpfel und Birnen der Biofarm-Produzentenfamilien verkaufen sich gut. Dem neuen Obstverantwortlichen Hans-Ruedi Schmutz gelingt ein sehr positiver Start. Ein Jahr später bringen bessere Wetterbedingungen 300 Tonnen Äpfel und Birnen. Eine reiche Ernte, doch viel Obst gibt es jetzt anderswo auch. Zu jener Zeit ist der Biomarkt noch nicht bereit für so grosse Mengen. Die Verkäufe gestalten sich schleppend, Aktionen werden gestartet, ein Teil wird zu Industrieobst verarbeitet.  Auch in den folgenden Jahren sieht sich die Biofarm mit der Herausforderung konfrontiert, grosse Ernteschwankungen aufzufangen. Denn diese sind im Biolandbau viel grösser, und für einen reinen Biovermarkter erweisen sich Verantwortung und Finanzrisiko als beträchtlich. Während Dörren oder Tiefgefrieren bei Verarbeitungsobst für etwas Ausgleich sorgen, muss Tafelobst verkauft sein, bevor im Folgejahr die ersten frischen Äpfel reif sind. 

Vielfalt an Früchten, Vielfalt an Fragen 
Mit den Jahren steigt die Nachfrage nach Bio-Obst und trägt dazu bei, Grossernten besser zu bewältigen. Doch Unwägbarkeiten sind das Los dieses Geschäftsbereichs. Dass die mehrheitlich kleineren Biofarm-Produzenten in der ganzen Schweiz verteilt sind, verteuert die Logistik. Das breite Sortenspektrum macht Annahme und Einlagerung kompliziert Geeignete Lager und Sortieranlagen für Obst aus Biogärten stehen nicht in jeder Landesecke. Kaum ein anderer Bereich führt im Vorstand so häufig zu Diskussionen. Es stellt sich immer wieder die Grundsatzfrage: Hat das Obstcenter eine Zukunft? Kann die Biofarm als kleine Spezialistin mit grosser Sortenvielfalt überleben? Muss sie sich dem Sortendiktat der Grossverteiler unterordnen? Bis heute lautet die Antwort: Ja! Die Genossenschaft will ihre Marktbeteiligung und Marktstellung als Mittel zur Einflussnahme auf Preise, Qualitäten, Sortenvielfalt, Partnerschaft mit Handel und Konsumenten durch konkretes Handeln zum Ausdruck bringen. Dazu fühlt sie sich den Produzentenfamilien, Handelspartnern und Konsumentinnen gegenüber seit allem Anfang verpflichtet. Ihr Anliegen: Alle von der Vielfalt alter und neuer Sorten profitieren lassen und nicht zuletzt auch einen wichtigen Beitrag zum Erhalt der Biodiversität in den Obstbauanlagen leisten.

 

Immer wieder gilt es, die Balance zu finden mit der Kombination von Tafel- und Verarbeitungsobst.

An ihrer ersten Versammlung im Jahr 1972 nehmen die neun Gründungsmitglieder zwei neue Mitglieder auf. Mit CHF 200 Eintrittsgeld pro Mitglied erhebt sich das Startkapital auf CHF 2200. An der ausserordentlichen Generalversammlung von Ende 1981 beschliesst der Vorstand die Erhöhung des Anteilscheins (ATS) auf CHF 500 und ruft zur Zeichnung neuer ATS und Darlehen auf. Damit kommen CHF 60'000 neues ATS-Kapital und CHF 20'000 neue Darlehen zusammen. Diese dienen der Finanzierung diverser Einrichtungen und Ergänzungen im gemieteten Schulhaus in Kleindietwil BE.

Ab 1992 werden die Mitglieder und Genossenschafterinnen regelmässig im Jahresbericht aufgeführt. Ziel bleibt bis heute, dass alle bäuerlichen Mitglieder auch Genossenschafter sind. Mit ihren über 1'000 Produzentinnen und Produzenten im Ackerkulturen- und Früchtebereich ist die Genossenschaft jedoch weit davon entfernt. 2021 zählt die Biofarm unter ihren 850 Genossenschaftsmitgliedern etwa einen Drittel Bauernfamilien.

 

Mitglieder aus Überzeugung
Seit 1981 ist der Wert des Biofarm-ATS unverändert geblieben. Für eine Mitgliedschaft ist die Zeichnung von mindestens einem ATS zu CHF 500   erforderlich. Im Jubiläumsjahr lanciert die Biofarm zur Unterstützung ihres dringend notwendig geworden Neubauprojektes eine Kampagne. Diese richtet sich an ihre Produzentenfamilien, bisherige Genossenschafterinnen und Genossenschafter sowie an Partnerorganisationen entlang ihrer Wertschöpfungskette. Mittlerweile stellen nicht-bäuerliche Personen zwei Drittel der Genossenschaftsmitglieder. Für sie ist die Biofarm Sympathieträgerin, viele unterstützen sie aus ideellen Gründen. Der in den Statuten verankerte ursprüngliche Passus, dass Produzenten 75% der Mitglieder ausmachen müssen, ist seit 1995 gelöscht und folgendermassen ersetzt: «Um den bäuerlichen Charakter der Genossenschaft zu bewahren, ist die Verwaltung berechtigt, die Aufnahme nicht-bäuerlicher Personen zu beschränken.» Von der Zahlenrealität längst überholt, ist diese Bedingung bisher jedoch nie zur Anwendung gekommen. 

 

Immer wieder gilt es, die Balance zu finden mit der Kombination von Tafel- und Verarbeitungsobst.

Und unsere Geschichte geht weiter

«Wer die Vergangenheit nicht kennt, kann die Gegenwart nicht verstehen und die Zukunft nicht gestalten.» Das Jubiläumsjahr geht zu Ende, und diejenigen, die heute an der Zukunft der Biofarm bauen, haben in den letzten zwölf Monaten unter anderem auch mit diversen Aktionen unter Beweis gestellt, dass sie eine solche Weisheit mit Leben zu füllen wissen. In einem rasant sich verändernden Umfeld setzt sich die Biofarm Ziele, die zu ihr passen. Sie will sich seit ihren sprichwörtlich feurigen Anfängen auf solidem Fundament weiterentwickeln.

«Ich schätze meine abwechslungsreiche Arbeit mit so hochwertigen Produkten und dazu noch in einem so aufgestellten Team», bringt es eine Mitarbeiterin auf den Punkt. Im Verlauf des Jahres 2021 erschienen auf dem Instagram-Account biofarmgenossenschaft zahlreiche Statements von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Geschäftsstelle in Kleindietwil BE. Wie erleben sie die Biofarm, ihren Job, ihren Arbeitsalltag? Ihre Feststellungen und Kommentare sprechen für sich: «gutes Miteinander», «Wertschätzung», «unkomplizierter Umgang», «persönliche, familiäre Atmosphäre» und dergleichen mehr. Danke, dass Sie uns begleiten!

 

BiofarmerInnen aus Überzeugung!

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